15.04.2019

„Europa ist Elmar Broks Leben“

Neue Westfälische – Bünder Tageblatt vom 15.04.2019 / Von Jean-Claude Juncker

Würdigung: Jean-Claude Juncker, Präsident der Europäischen Kommission, über den langjährigen Europaabgeordneten Elmar Brok aus Bielefeld und dessen außergewöhnliches rhetorisches Talent

Straßburg/Bielefeld. Als Elmar Brok einmal eine Rede in seiner Heimatstadt Bielefeld hielt und am Rednerpult stand, klingelte sein Handy. Helmut Kohl, der damalige Bundeskanzler persönlich, war am Apparat. Elmar Brok hat dann das hinbekommen, was sonst niemand hinkriegen würde: Er telefonierte mit Helmut Kohl, während er gleichzeitig mit dem Saal weiter redete.

Diese Geschichte erzählte mir Helmut Kohl einmal. Es war nicht das einzige Mal, dass Helmut Kohl Elmar Brok angerufen hat: Selten traf der Bundeskanzler eine wichtige europapolitische Entscheidung, ohne vorher mit Brok gesprochen zu haben. Noch heute wählen viele Staats- und Regierungschefs, auch außerhalb Europas, seine Nummer, um sich mit ihm auszutauschen. Ich gehöre dazu.

„Geboren, verheiratet, Europäisches Parlament“

Mit Elmar Brok verlässt nicht nur ein enger Freund das Europäische Parlament, sondern auch ein europäisches Urgestein. Seit fast 40 Jahren sitzt der CDU-Abgeordnete für Ostwestfalen-Lippe im Europaparlament. Elmar Broks Leidenschaft für Europa, sein messerscharfer Verstand und sein vor allem für einen Ostwestfalen herausragendes rhetorisches Temperament haben ihn für viele Deutsche zum Gesicht der EU gemacht. Als Europa-Erklärer ist er von europäischen Bildschirmen und Mikrofonen kaum wegzudenken.

Europa ist Elmar Broks Leben. Wenn jemand schon als zwölf-jähriger Schüler eine Postkarte an den Paneuropa- Pionier Richard von Couden-hove-Kalergi schreibt, mit der Bitte um Zusendung von Euro- pa-Material, dann kann das nur die große Liebe sein. „Geboren, verheiratet, Europäisches Parlament“ – so treffend soll Helmut Kohl einmal den Lebenslauf von Elmar Brok auf den Punkt gebracht haben.

Als Elmar 1980 mit 34 Jahren zum Europa-Abgeordneten wurde, da war die Europäische Gemeinschaft noch eine Zollunion und hatte neun Mitgliedstaaten. Jeder kannte jeden in Europa. So lernten auch wir uns bei einer Unionsveranstaltung kennen, kurz bevor ich zum luxemburgischen Staatssekretär für Arbeit ernannt wurde. Heute gibt es nicht mehr viele aus dieser Generation, die seitdem alle europapolitischen Gewässer durchquert haben.

Elmar war von Anfang an jemand, der über Parteigrenzen hinweg Allianzen geschmiedet hat, um Europa voranzubringen. Das europäische Interesse kam für ihn immer vor parteipolitischen und nationalen Überlegungen. Seine Brückenbauer-Qualitäten haben ihn zu einem der prägenden Außenpolitiker der Europäischen Union gemacht.

Ob als Hauptberichterstatter für die EU-Erweiterung, als EU-Vertreter auf dem Maidan oder während der Brexit-Gespräche: Elmar Brok ist der Mann für die heiklen Verhandlungen mit großer Sachkompetenz zu allen europapolitischen Fragen.

Gelernt hat er dieses Handwerk, wie übrigens ich auch, von Helmut Kohl, für den Europa stets eine Frage von Krieg und Frieden war. Elmar Brok weiß deshalb um die Kunst des Ausgleichs und welche Mittlerrolle kleinere Länder in der EU spielen können.

Außerdem war Elmar immer ein Vordenker Europas. Seit Maastricht kam kein europäischer Vertrag ohne Elmar Brok am Verhandlungstisch zustande. Sogar das Konzept des europäischen Spitzenkandidaten – mittlerweile ein deutsches Wort, das in allen europäischen Hauptstädten verstanden wird – hat er miterfunden und die entscheidenden Formulierungen in den Text des Lissabon-Vertrags hineinverhandelt. Ich war dann 2014 erfolgreich das erste Versuchskaninchen.

Elmar Broks wahrscheinlich größtes Verdienst ist es, dem Europäischen Parlament mit jeder Vertragsänderung zur heutigen Stärke verholfen zu haben. Seinem Wirken ist es zu verdanken, dass es sich zunehmend als demokratische Stimme der Europäer Gewicht verschafft hat. Ich wünsche mir, dass am 26. Mai möglichst viele Menschen von diesem Schatz Gebrauch machen und Europa mitgestalten – auch, wenn Elmar Brok dann nicht mehr dabei sein wird.

Politisch teilten wir über die gefühlten Jahrhunderte, die wir uns kennen, die gleiche europäische Grundauffassung, schwammen im gleichen Kanal, in dieselbe Richtung. Uns verbindet etwas, das in unserer Parteienfamilie immer seltener wird: Die echte Überzeugung, dass Europa sozial sein muss, um die Menschen zu überzeugen. Auch in Finanzkrisenzeiten hat Elmar Brok immer dafür gesorgt, dass das Soziale nicht unter den Tisch fällt. Die Wirtschaft muss den Menschen dienen, nicht umgekehrt. Die Menschen müssen im Mittelpunkt stehen. So waren es auch Elmar Brok und ich, die entscheidend dafür gepoltert haben, dass Griechenland im Euro bleibt. Auch wenn Elmar Brok häufig lauter polterte als ich.

Elmar Broks Stimme wird im Europäischen Parlament sehr fehlen. Mit ihm verlieren Deutschland und Europa eine große Nummer auf dem internationalen Parkett. Dass Elmar Brok mit dem Ende seines Parlamentsmandats aber die europäische Bühne verlässt, bezweifle ich. Seine Stimme werden wir weiterhin hören. Und wir werden sie weiterhin brauchen.

Seine Nummer bleibt jedenfalls in meinem Handy gespeichert.