10.04.2017

Außenkontrollen bedeuten mehr Freiheit im Inneren

An den Außengrenzen des Schengen-Raums werden bei der Einreise nun auch die Daten von EU-Bürgern mit Fahndungslisten abgeglichen. Eine Gefahr für die Freiheit? Nein, sagt der EU-Parlamentarier Elmar Brok in einem Interview mit der Deutschen Welle. Lesen Sie den Wortlaut hier.

DW: Als Reaktion auf die Anschläge von Paris im November 2015 treten ab sofort schärfere Kontrollen an den Schengen-Außengrenzen in Kraft – auch für EU-Bürger. Stehen jetzt alle unter Generalverdacht?

Elmar Brok: Nein, aber ich glaube es ist richtig, dass wir angesichts des Terrorismus unsere Außengrenzen schützen. Das heißt: Es müssen Kontrollen durchgeführt werden. So ist es ja auch vorgesehen: Kontrollen außen, Offen im Inneren – das muss der Grundsatz sein.

DW: Glauben Sie denn, dass alle Schengen-Staaten diese neue Regelung umsetzen können? Das Prozedere ist ja ziemlich komplex.

Brok: Das glaube ich schon. Deswegen sind ja auch bestimmte Länder wie Bulgarien und Rumänien noch nicht Mitglied des Schengen-Raums, weil offensichtlich einige Bedingungen noch nicht erfüllt sind. Dort muss nachgerüstet werden. Wir müssen uns alle im Kampf gegen den Terrorismus darauf einstellen, dass wir die Außen-grenzen der Europäischen Union besser schützen müssen, wenn wir die Öffnung der Innengrenzen beibehalten wollen.

DW: Kritiker glauben, dass durch solche Kontrollen eine wichtige Errungenschaft der Europäischen Union verloren geht.

Brok: Nein, die Errungenschaft ist die Öffnung im Inneren. Wenn ich innerhalb der Europäischen Union reise, besteht Reisefreiheit. Die Außengrenzen müssen geschützt werden. Man sieht den Menschen ja nicht am Gesicht an, ob sie Bürger der Europäischen Union sind oder nicht.

DW: Aber auch Kontrollen an Binnengrenzen sind doch immer wieder im Gespräch! Insofern gibt es schon Einwände, dass eine solche Überprüfung auch eine Vorstufe zu stärkeren Kontrollen im Inneren sein könnte.

Brok: Dagegen würde ich mich sehr wehren. Das wäre auch ein Widerspruch. Der Außenschutz gewährleistet ja die Freiheit im Inneren. Im Einzelfall kann auch im Inneren kontrolliert werden, wenn unmittelbare Gefahr besteht. Das wurde immer schon gemacht, zum Beispiel bei der Fußball-Weltmeisterschaft 2006 zum Schutz vor britischen Hooligans. Auch das darf von Fall zu Fall sein. Es wird auch innerhalb des Landes kontrolliert, unabhängig von den Grenzen. Die deutsche Polizei kann sogar beispielsweise bis in die Niederlande hineingehen, um mögliche Verdächtige zu verfolgen. All das gehört zum Schengen-Komplex dazu. Das bedeutet sehr viel mehr Kontrolle, aber für den Normalbürger sehr viel mehr Freiheit zu reisen.

DW: Schauen wir uns an, wie die neue Regelung praktisch umgesetzt werden soll: Es sollen ja systematisch Fahndungslisten abgeglichen werden. In der Vergangenheit hat es immer wieder Kommunikationspannen gegeben zwischen den Behörden einzelner Mitgliedstaaten. Auf welchem Stand ist die Kooperation momentan?

Brok: Ich glaube, dass durch das Schengen-Kommunikationssystem die technischen Voraussetzungen gegeben sind. Aber wir haben das Problem ja selbst in den deutschen Bundesländern gehabt, dass die Computernetze der Bundesländer nicht kompatibel waren. Wenn Migranten in Bayern registriert wurden, dann erfuhr man in Schleswig-Holstein nichts davon. (Der Berlin-Attentäter) Anis Amri konnte mit mehreren Identitäten herumlaufen, weil die Kooperation zwischen Kommunen und Ländern in Deutschland nicht klappte. Ich glaube, dass da in den letzten Monaten und Jahren in der Europäischen Union sehr viel mehr Druck ausgeübt wurde, um das zu gewährleisten. Damit wir Sicherheit vor Verbrechern haben, aber Freiheit für die Bürger, die sich so benehmen, wie es sich gehört.

DW: Ist die Verschärfung denn überhaupt eine angemessene Reaktion auf die Art von Terror, mit der wir es derzeit verstärkt zu tun haben? Die Behörden warnen ja vor Angriffen durch sogenannte „einsame Wölfe“.

Brok: Nichts bietet vollkommenen Schutz. Es schränkt die Möglichkeiten von Terroristen ein, aber damit ist die Gefahr nicht gebannt. Grenzschutz und Küstenwachen müssen wir stärker ausbauen, wir müssen die Nachrichtendienste im Inneren stärker kooperieren lassen, damit man solche „einsamen Wölfe“ fängt. Völlige Sicherheit vor Gewalttätern, die auch als Selbstmordattentäter unterwegs sind, wird es nicht geben. Aber es ist die Verpflichtung der Europäischen Union, deren Möglichkeiten so weit wie möglich einzuschränken. Die Verschärfung der Kontrollen an den Schengen-Außengrenzen wird dazu einen Beitrag leisten.