18.04.2017
Erdogan kann seinen Wirtschaftserfolg nur mithilfe europäischer Investitionen retten
Falls Erdogan die Todesstrafe in der Türkei wieder einführt, kann er sich endgültig vom EU-Beitritt verabschieden. Das stellt Elmar Brok klar. Derzeit rät er aber von einem „totalen Bruch“ mit Ankara ab – aus einem Grund. Lesen Sie das Interview mit der Zeitung „Die Welt“ hier.
Die Welt: Was schließen Sie daraus, dass sich Erdogan mit seiner Verfassungsreform knapp durchgesetzt hat?
Elmar Brok: Die Türkei ist völlig gespalten. Erdogan hat trotz massivem Einsatz der Staatsmittel, trotz Verhaftung von Journalisten, der Inhaftierung vieler, vieler anderer und womöglich sogar Wahlfälschungen nur knapp über 50 Prozent erreicht. Aus diesem Ergebnis erwächst nicht die Legitimation, den Staat komplett umzubauen.
Die Welt: Sahra Wagenknecht und Cem Özdemir haben die Aussetzung der Rüstungskooperation mit der Türkei gefordert. Schließen Sie sich dem an?
Brok: Tatsache ist: Das von Erdogan zur Abstimmung gestellte Staatssystem macht die Türkei EU-untauglich. Deswegen kann man aber nicht gleich sämtliche Beziehungen zur Türkei abbrechen. Mit einem totalen Bruch würden wir uns an der anderen Hälfte der türkischen Bevölkerung versündigen, die mit Nein gestimmt hat.
Die Welt: Sollte das offiziell festgestellt werden: Die Beitrittsgespräche werden abgebrochen?
Brok: Man soll nicht Türen endgültig zuschlagen. Aber die Beitrittsgespräche sind seit einem halben Jahr wegen des von Erdogan ausgerufenen Notstands eingefroren, und jetzt werden sie nicht weitergehen, weil die Bedingungen nicht mehr erfüllt sind.
Die Welt: Können jetzt die Visa-Erleichterungen noch kommen, die die Gegenleistung der EU im Flüchtlingsabkommen sein sollten?
Brok: Wenn ich den weitgefächerten Terrorismusbegriff der gegenwärtigen türkischen Regierung sehe, sehe ich Schwierigkeiten, sich einig zu werden. Trotzdem sollte man die Erleichterungen anstreben. Erstens deshalb, weil sie den freien Zugang der Bevölkerung zur EU bedeutet. Der Ausgang des Referendums war knapp, und wir sollten nicht die Beziehungen zur türkischen Bevölkerung abbrechen. Zweitens bringt die Visaerleichterung auch für Deutschland und die EU mehr Sicherheit. Denn sie ist an fälschungssichere biometrische Pässe und an die zwingende Prüfung des individuellen Aufenthaltsstatus nach drei Monaten geknüpft. Wir wissen dann also sehr genau, wer zu uns kommt.
Die Welt: Was bedeutet das Referendum für Europas Haltung gegenüber den Kurden?
Brok: Wir sollten Erdogan aufrufen, Gespräche mit den Kurden für eine friedliche Lösung zu führen – eine Position, die er bis 2015 auch vertreten hat. An diese Gespräche muss wieder angeknüpft werden, wenn er die Einheit der Türkei retten will. Derzeit hat er es vorgezogen, mögliche kurdische Vermittler als „Terroristen“ ins Gefängnis zu werfen.
Die Welt: Wenn Erdogan die Todesstrafe nun wirklich einführt – kann man dann die Zollunion mit der EU noch aufrechterhalten?
Brok: Auf jeden Fall kann es dann wirklich keine Beitrittsverhandlungen mehr geben. Dann ist der EU-Beitritt der Türkei gescheitert. Die Zollunion hat nicht unmittelbar damit zu tun, aber ihre Bedeutung ist ein Ansatzpunkt. Erdogan kann seinen Wirtschaftserfolg nur mithilfe europäischer Investitionen retten. Wenn er das abschneidet, zerstört er die Basis seiner Popularität. Alternativmärkte zur EU gibt es nicht. Die Türkei erfolgreich in die Zukunft zu führen geht nur mit Europa.