27.05.2019
„In der EU müssen die Bürger das Sagen haben“
Von: MARTIN SCHULZ* UND ELMAR BROK** veröffentlicht am
25.05.2019 – 13:02 Uhr
Demokratie und Wählerwille oder Rückkehr in die Hinterzimmer der Macht: Diese grundsätzliche Frage wird sich nach der Europawahl ab Montag stellen.
Im Vertrag von Lissabon ist das Wahlrecht für das Amt des EU-Kommissionspräsidenten bewusst auf das Europäische Parlament (EP) übertragen worden. Der Europäische Rat der Staats- und Regierungschef darf einen Vorschlag nur im Lichte der Ergebnisse der Europawahl und nach Konsultationen des Europäischen Parlaments machen.
Seit 2014 gibt es zudem Spitzenkandidaten der europäischen Parteienfamilien: Die Wählerinnen und Wähler sollen durch die Wahl des EP auch den „EU-Regierungschef“ bestimmen können. Nur die/der Spitzenkandidat/in, die/der es nach der Wahl schafft, im Parlament eine demokratische Mehrheit zu bilden, kann Kommissionspräsident/in werden. So ist es auch Praxis nach einer Bundestagswahl. 2014 ist Jean-Claude Juncker auf diese Weise ins Amt gekommen.
Nun wollen ein Teil der Staats- und Regierungschefs und deren Apparate den Wähler entmündigen und die demokratische Errungenschaft des Spitzenkandidaten-Prozesses abschaffen. Präsident Macron und die Liberalen stehen offensichtlich an der Spitze dieser Strategie.
Dieser Versuch ist gefährlich. Die EU darf nicht weniger demokratisch werden. Im Gegenteil: In der EU müssen die Bürgerinnen und Bürger das Sagen haben.
Wir fordern deshalb die Bundeskanzlerin als Chefin der deutschen Regierung und alle anderen europäischen Staats- und Regierungschefs auf, am Spitzenkandidatenprozess nach der Europawahl festzuhalten. Das Europäische Parlament wird keinen anderen Kandidaten akzeptieren und wählen.
* Martin Schulz, MdB und früherer Präsident des Europäischen Parlaments sowie sozialdemokratischer Spitzenkandidat bei der Europawahl 2014
** Elmar Brok MdEP, Vertreter des Europäischen Parlaments im Vertragskonvent in der Regierungskonferenz und Verfasser der Passage über die Wahl des Kommissionspräsidenten im Vertrag von Lissabon