30.06.2015

Elmar Brok Interview im Focus: Grexit

EU-Politiker Brok: „Tsipras hat sein eigenes Volk belogen und ausgetrickst“

 

Focus Online

 

29.06.2015
Linda Wurster

Der deutsche Europapolitiker Elmar Brok ist überzeugt, dass die Tsipras-Regierung es schon lange auf einen Grexit angelegt und das griechische Volk bewusst getäuscht hat. Im FOCUS-Online-Interview rechnet er mit Tsipras ab und spricht über die Folgen eines Austritts.

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Elmar Brok (CDU) ist Mitglied im Europäischen Parlament und sitzt dort dem Ausschuss für Auswärtige Angelegenheiten vor.

FOCUS Online: Herr Brok, was glauben Sie: Will die Regierung Tsipras wirklich den Grexit?

Elmar Brok: Ja. Die Griechen haben die Verhandlungen abgebrochen, weil sie keine Einigung wollen.

FOCUS Online: Für die Verhandlungspartner kam das sehr überraschend. Glauben Sie, dass die griechische Regierung ihre Meinung geändert hat – oder hat sie es womöglich von Anfang an auf einen Austritt angelegt?

Brok: Ich bin mir sicher, dass es die Syriza-Regierung darauf angelegt hat. Tsipras und Varoufakis haben monatelang ein falsches Spiel gespielt und ihr Volk belogen. Sie haben Verhandlungsbereitschaft signalisiert, nur damit sie später so tun können, als werfe die EU Griechenland heraus. Damit haben sie die griechische Bevölkerung ausgetrickst.

FOCUS Online: Was ist das Kalkül hinter dem Grexit-Wunsch?

Brok: Es handelt sich um eine weitgehend kommunistische Regierung, die die EU ablehnt. Dieser Kurs geht auf die Hardliner innerhalb des Syriza-Bündnisses zurück. Ich kenne einige dieser starrsinnigen Leute aus dem Europäischen Parlament. Sie haben nie ihren Frieden mit dem Ausgang des griechischen Bürgerkriegs gemacht, als sich die Konservativen gegen die Linken durchsetzten. Und deshalb lehnen sie die EU und auch die Nato ab und versuchen, ihr kommunistisches Konzept zu realisieren.

FOCUS Online: Wie groß ist die Frustration in den Europäischen Institutionen nach den Ereignissen des Wochenendes?

Brok: Wer unmittelbar mit Tsipras und Varoufakis verhandelt hat, ist menschlich entsetzt. So kann man einfach nicht miteinander umgehen. Im Europäischen Parlament kommen wir heute Nachmittag zusammen – aber es zeichnet sich bereits ab, dass eine breite Mehrheit der Meinung ist, dass mit dieser griechischen Regierung kein Abschluss möglich ist.

FOCUS Online: Was bedeutet das für die politischen Bemühungen in den nächsten Tagen.

Brok: Man sollte das Verhalten der Regierung nicht mit dem Volk gleichsetzen. Es gibt keine Kollektivschuld,. Es gibt nun ein Angebot an das griechische Volk – und wir müssen abwarten, wie es sich entscheidet. Unsere Aufgabe ist es, den Menschen in Griechenland die Konsequenzen aufzuzeigen und ihnen klarzumachen, dass Tsipras sie belogen hat.

FOCUS Online: Was für ein Ergebnis erwarten Sie bei der Abstimmung?

Brok: Das kann man nicht vorhersagen. Ich denke, dass einige Griechen nun nachdenklich werden und erkennen, dass Tsipras‘ Versprechen, alles für nichts zu bekommen, unrealistisch ist.

FOCUS Online: Was würde ein Nein beim Referendum Ihrer Meinung nach bedeuten?

Brok: Die Griechen würden sich mit einem Nein für den Weg der Armut und womöglich auch der Unfreiheit entscheiden. Sie wären die Leidtragenden.

FOCUS Online: Und die Europäische Union?

Brok: Die Situation wird unter Kontrolle bleiben. Trotz aller damit verbundenen Schmerzen wird es keinen Domino-Effekt geben, wie es noch vor drei Jahren gewesen wäre, weil die EU inzwischen besser vorbereitet ist.

FOCUS Online: Wie sehr würde es dem Projekt EU schaden, wenn ein Mitgliedsstaat nicht nur die Eurozone, sondern auch die Union verlassen würde?

Brok: Die Möglichkeit eines Austritts ist im Vertrag von Lissabon verankert und somit machbar und zu bewältigen. Wenn es so kommt, sollten die verbliebenen Mitglieder umso enger zusammenrücken – und keinen Platz für neuen Nationalismus lassen.

FOCUS Online: Und doch würde damit etwas eintreten, was die europäische Politik in den letzten Jahren mit großen Anstrengungen zu verhindern versucht hat.

Brok: Natürlich wäre das ein Rückschlag, aber die Auswirkungen sind kontrollierbar. Das Beispiel Griechenland könnte auch ein Ansporn sein, in Zukunft manches besser zu machen. Wenn auf nationaler Ebene etwas schief läuft, dann wird gemeckert, aber es wird nicht gleich die Existenzberechtigung der Regierung in Frage gestellt. Auf europäischer Ebene ist das anders, was mir ungerecht vorkommt. Wir sollten uns bewusst machen, vor was für Herausforderungen wir stehen: Krieg, Terrorismus, Klimawandel – keine davon kann ein einzelner Staat alleine bewältigen. Auch Deutschland nicht.