13.08.2014

Interview-Mitschrift: „Wir waren zu naiv“

RBB Inforadio, 11.08.2014, 16.05 Uhr, Martin Krebbers, Live

Martin Krebbers: 2004, also vor zehn, da hatte ein junger türkischer      Ministerpräsident Recep Tayip Erdogan die Europäische Union heftig umworben. Ziel waren endlich ernst gemeinte Beitrittsverhandlungen, sein Werben war so heftig, dass der CDU Europaparlamentarier damals den „penetranten Druck“ beklagte. Vor allem CDU und CSU haben einen Türkei-Beitritt aber stets ausgebremst. Heute, zehn Jahre später, ist die Türkei weiter von Europa entfernt als je zuvor, von einem Beitritt spricht kaum noch jemand, auch Erdogan nicht, er ist immer noch da und mächtiger denn je, als erster direkt gewählter Präsident der Türkei an diesem Wochenende, und CDU-Mann Elmar Brok ist auch noch da, heute Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses im Europaparlament. Guten Tag Herr Brok.

Elmar Brok: Guten Tag.

MK: Hat Europa die Chance verpasst Erdogan und die Türkei an sich zu binden?

EB: Nein, ich bin der Auffassung, dass wir unsere Angebote stets gemacht haben, aber Erdogan nie die Bedingungen erfüllt hat, die mit Rechtsstaatlichkeit und unabhängiger Rechtsprechung zu tun haben, die mit Religionsfreiheiten, Meinungsfreiheit zu tun haben. Wir müssen ja sehen, dass heute die Entwicklung gegen Europa gelaufen ist aufgrund der internen Entwicklungen, weil er ja nicht die Bedingungen erfüllt hat, die die Bedingungen für die Mitgliedschaft sind. Wir können ja niemanden aufnehmen, in die Europäische Union, wenn nicht ein Mindestmaß and Rechtsstaatlichkeit und Meinungsfreiheit gewährleistet ist. 

MK: Sie haben den penetranten Druck damals beklagt, mit dem die Türkei, ja, Druck gemacht hat um endlich in die EU aufgenommen zu werden. Ist von diesem Druck heute noch irgendetwas übrig geblieben?

EB: Nein, es ist damals glaub‘ ich Druck gemacht worden, um über Europa den Atatürk-Staat auszuhebeln, denn auch damals waren die Fragen mit Unabhängigkeit der Justiz usw. problematisch, damals insbesondere der Einfluss des Militärs, und ich habe heute manchmal den Eindruck, dass er Europa benutzt, um „Innere Reformen“ (in Anführungsstreichen) zu führen, die ihm diesen absoluten Machtanspruch ermöglichen, die ja gegen die Regeln des alten türkischen Staates sind und wir jetzt große Sorgen haben, dass er eine Art neuer Sultan, äh, es letztlich zu einer Art Putinisierung des Landes kommt. Ich hoffe, dass diese Einschätzung falsch ist.

MK: Aber wenn die Strategie damals war, die Türkei durch die kalte Schulter zu demokratisieren, dann ist diese Strategie ja gänzlich gescheitert.

EB: Ja, unsere Strategie ist gescheitert, weil, bisher scheint es so, dass sie gescheitert ist, weil wir auch zu naiv gewesen sind. Ich habe mit den Worten von damals davor gewarnt, dass man nicht so blauäugig sein sollte, wie man das in vielen Bereichen gewesen ist und wie das viele politische Kräfte gewesen sind. Ich wäre froh, wenn ich damals unrecht gehabt hätte.

MK: Erdogans Rolle in der Türkei, Herr Brok, wird gewichtiger, er will ein mächtiger Präsident werden, seine Befugnisse ausbauen, in welche Richtung entwickelt sich das Land heute, präsidial regiert wie in Frankreich und den USA, oder eher wie Putins Russland?

EB: Ich glaube, es geht eher in Putins Richtung, oder: In diese Richtung Putins Russland, denn die Unabhängigkeit der Rechtsprechung wird außer Kraft gesetzt, er hat ja schon alle Anschuldigungen usw. gegen ihn wegen Korruption usw. gegen ihn und seinen verbündeten Clan, Richter usw. ausgewechselt, Staatsanwälte ausgewechselt, Polizisten versetzt, um auf diese Art und Weise auch eine Gleichschaltung des Justizsystems hinzubekommen. Die Meinungsfreiheit ist im weiten Umfange gefährdet. In Amerika oder Frankreich, da stimmt die Balance in einem anderen System, als das was wir in Deutschland haben, aber der Rechtsstaat ist da, es ist demokratische Kontrolle vorhanden, und dieses wird [in der Türkei] abnehmen, so fürchten viele, so dass es eher zu einer Putinisierung führen könnte, und wir sollten jetzt allerdings alles tun, um in Gesprächen mit Erdogan zu bleiben, damit dieses nicht so entkommt. Denn dieses wäre eine Katastrophe, denn wir sehen auch gleichzeitig die außenpolitische Auswirkung, die das hat. Er ist der Einzige im islamischen Bereich, der mit Katar, der die Hamas unterstützt. Er nimmt eine Rolle ein gegenüber Islamisten, wir kennen kein Wort von ihm in Zusammenhang mit den Gräueltaten des Islamischen Staates, so dass wir schon auch hier große Sorgen haben, in welcher Weise er seine Sympathien auch im islamischen Diskussionsprozess einnimmt.

MK: Wäre es an der Zeit sich ehrlich zu machen und das Thema EU-Beitritt für gescheitert und beendet zu erklären?

EB: Einige von uns fordern seit einiger Zeit, dass man die Verhandlungen in eine bestimmte Richtung bringen sollte, die mehr Spielraum ermöglicht. Das Verhandlungsmandat sagt, Ziel der Verhandlungen ist die Vollmitgliedschaft, aber wenn es im Rahmen der Verhandlungen oder im weiteren Integrationsprozess Probleme gibt, die höchstmögliche Bindung, die ansonsten möglich ist, drum schrieb ich sei Interessiert an einer Norwegen-Lösung, an eine Anbindung an den Europäischen Wirtschaftsraum mit den Bindungen an die Europäische Union und in Zusammenarbeit, Mitglied des Europäischen Binnenmarkts usw., ich glaube, dass das für die Türkei eher erreichbar ist und auch für uns eher machbar ist, und das wäre vielleicht ein Ausweg statt dass man die Tür zuschlägt. Denn die Türkei ist natürlich ein wichtiges Land, ökonomisch aber auch politisch, es wäre eine Katastrophe, wenn die Türkei völlig in den islamischen Bereich abdriften würde.