04.10.2010

Interview mit Elmar Brok, MdEP, erschienen am 3. Oktober „Junge Union Büren“

Erschienen am 3. Oktober „Junge Union Büren“
http://ju-bueren.generation-ju.de/content/pages/4720/23855/

1. Als Verlarer warten Sie sicherlich wie jeder Ostwestfale auf das OWL – Derby SC Verl gegen Arminia Bielefeld. Was meinen Sie, wann werden die beiden Mannschaften in einer Liga spielen?

Elmar Brok:

Als gebürtiger Verler wäre es mir durchaus eine Freude den Aufstieg meiner Geburtstadt aus der Regionalliga in die 2. Bundesliga zu sehen, in der sich ja momentan die Arminia und der SC Paderborn befinden. Allerdings  wünsche ich dieser, dass ihr der Aufstieg in die Erstklassigkeit bald wieder gelingt. Bis zu einem OWL-Derby in derselben Spielklasse werden wohl noch einige Jahre vergehen. Aber mit ein wenig Glück kommt es vielleicht auch schon früher im DFB-Pokal zu einem Derby. Aber in Verl bin ich nur in den ersten 14 Tagen gewesen. In der Jugend habe ich beim VfB Schloss-Holte gespielt, später für den VFJ08 Paderborn, der zu den Gründerklubs der heutigen Bundesligisten zählt.

2. Heute jährt sich der Tag der Einheit zum 20. Mal. Ist dies ein Freudentag nur für Deutschland, oder auch für andere Europäer?

Elmar Brok:

Der 3. Oktober sollte nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa als Symbol und Anlass genommen werden, über Krieg und Frieden und die Veränderung der Verhältnisse in Europa nachzudenken. Der 3. Oktober steht nicht nur für das Ende eines Prozesses, der mit den friedlichen Revolutionen in Osteuropa anfing und über den Mauerfall und die deutsche Einheit die Teilung Europas beendete – Sondern er steht auch für den Beginn eines neuen Prozesses, im Laufe dessen weite Teile Osteuropas Freiheit und Demokratie erlangten und der in den EU-Beitritten 2007 und 2009 mündete.  Wir sollten uns heute deswegen bewusst machen, dass wir dank der EU, dank der deutsch-französischen Freundschaft, dank der fortschreitenden Einigung des europäischen Kontinents, aber auch dank unseren Partnern USA friedvoll vereinigt in Freiheit miteinander leben – dies sollte uns gerade in Zeiten der Wirtschafts- und Finanzkrise und aller Polemik, die im Zusammenhang mit Griechenland an der EU und ihrem Nutzen geäußert wird, bewusster sein denn je ! Letztlich kann man sagen, gemeinsam haben die Europäer Stalin und Hitler besiegt. Sie  schicken sich nun an, gemeinsam ihre Interessen in der globalen Ordnung wahrzunehmen.

3. In der Europäischen Union gibt es 23 Sprachen: Wie können Sie sich mit Ihren Kollegen verständigen?

Elmar Brok:

Damit diejenigen, die innerhalb der EU-Institutionen arbeiten, mit jedem und jederzeit kommunizieren zu können, hat man sich auf die Arbeitsprachen  Deutsch, Englisch und Französisch als die drei am meisten gesprochenen Sprachen in der EU geeinigt. Es wäre einfach zu teuer und praktisch nicht möglich, bei jedem Email-Wechsel, bei jedem informellen Treffen etc. einen Dolmetscher hinzuzuziehen. Ich persönlich habe die Erfahrung gemacht, dass wenn man idealerweise zwei dieser Arbeitssprachen beherrscht, man sich jeder Zeit und mit jedem verständigen kann.

Allerdings werden alle offiziellen Dokumente der EU in die 23 Amtssprachen übersetzt. Jeder europäische Bürger kann sich so informieren und niemand wird aufgrund seiner Sprache benachteiligt. Ganz nach dem Motto „Einheit in Vielfalt“

4. 1/5 der EU-Bürger sprechen deutsch. Warum wird deutsch in den europäischen Institutionen nicht gleichberechtigt wie englisch und französisch behandelt und was tun Sie dafür diese Ungleichbehandlung zu beenden?

Elmar Brok:

Im EP ist wie in der Kommission Deutsch Arbeits- und Amtsprache. Auch wenn in der Praxis die meisten Englisch dem Deutschen, aber auch dem Französischen bevorzugen, müssen wir darauf achten, dass Deutsch  gleichberechtigt behandelt wird. So habe ich gemeinsam mit mehreren Kollegen der CDU/CSU Gruppe in einer Schriftlichen Anfrage an den Rat gefordert, dass Deutsch neben Englisch und Französisch auch Arbeitssprache im neu einzurichtenden Europäischen Auswärtigen Dienst (EAD) wird. Die Hohe Vertreterin/Vizepräsidentin der Kommission Ashton hat dies informell mehrfach zugesichert, aber eine offizielle Antwort auf die schriftliche Anfrage steht noch aus. Bei den ersten Postenausschreibungen für den EAD wurden nur Englisch und Französisch als Voraussetzung genannt – dies geht nicht und sollte aufhorchen lassen. Da die Verhandlungen zum EAD noch nicht vollständig abgeschlossen sind – das EP muss noch bei dem Personalstatut und der Finanzregelung zustimmen – haben wir hier noch Möglichkeiten entsprechend Druck auszuüben. Deutsch ist Arbeitssprache der EU, genau wie Französisch und Englisch, und sollte nicht benachteiligt werden – immerhin sprechen es ca. 18% aller Europäer als Muttersprache.

5. Viele Bürger verbinden die EU nur mit Bürokratie. Ist dies nur ein Vorurteil, oder eine berechtigte Kritik?

Elmar Brok:

Es ist schade, dass sich ein Großteil der öffentlichen Debatten um die Bürokratie der EU drehen. Es gibt ungefähr 28.000 EU-Beamte. Das mag nach viel klingen, ist aber niedriger als die Beamtenzahl der meisten mittelgroßen Städte in Europa. Allein die Stadt München hat doppelt so viele Beschäftigte wie die EU. Jeder Staat, ja in Deutschland sogar jedes Bundesland hat ein Mehrfaches an Beamten als wir es insgesamt in der EU haben. Und das angesichts der Tatsache, dass wir in der EU immer mehr Aufgaben übernehmen. Aber bei aller Polemik ist auch etwas an der Bürokratiekritik dran. In der Vergangenheit ist die EU immer weiter gewachsen und hat immer mehr Aufgabenbereiche übernommen, wodurch teilweise Duplikationen entstanden. Deswegen ist der Lissabonner Reformvertrag so wichtig, denn er hilft der EU sich zu reformieren und sie effizienter, handlungsfähiger und demokratischer zu gestalten und trägt somit zum Bürokratieabbau bei. So wurde zum Beispiel der Posten des Hohen Vertreters/Vizepräsidenten geschaffen, der drei Posten in sich vereinigt: Den des Hohen Vertreters für die Gemeinsame Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik der EU, den des Außenkommissars der Kommission und den des Vorsitzenden des EU-Außenministerrates. Ebenso werden durch den bereits erwähnten EAD diverse Rats- und Kommissionsstrukturen im Bereich der Außenbeziehungen zusammengeführt und somit Duplikationen und damit auch Bürokratie reduziert.

6. Mehrere Länder möchten Mitglied der EU werden. Wann erwartet uns der nächste Beitritt?

Elmar Brok:

Wir hoffen, dass wir bis 2012 die Beitrittsverhandlungen mit Kroatien abschließen können. Auch über einen Beitritt Islands müssen wir reden. Beide Länder gehören aus historisch-kulturellen Gründen zur EU und haben gute Chancen, die strengen Beitrittskriterien zu erfüllen. Grundsätzlich gilt aber: Wir müssen in den nächsten Jahren erstmal aufhören, die EU immer mehr zu erweitern und uns stattdessen auf die Konsolidierung der EU konzentrieren. Der Lissabonner Vertrag sieht hierfür die notwendigen Reformen vor. Um deren Umsetzung müssen wir uns zunächst kümmern, anstatt die EU immer weiter auszudehnen. Sinnvoll wäre es als Alternative zu einem EU-Beitritt zumindest übergangsweise neue Kooperationsformen zu finden wie zum Beispiel mit Blick auf die Türkei einen sog. „Europäischen Wirtschaftsraum Plus“ nach dem Norwegen Modell.

7. Wie kann eine Kleinstadt wie Büren von der Europäischen Union profitieren?

Elmar Brok:

Vor allem ist die EU das größte Friedensprojekt aller Zeiten! Dank der Europäischen Union konnte in Europa Frieden und Wohlstand wachsen, wo über Jahrhunderte Misstrauen und Feindschaft wuchs. Heute bietet uns die EU die Möglichkeit durch gemeinsames Auftreten auf internationaler Bühne die europäischen Interessen und Werte durchzusetzen. Denn aktuelle Herausforderungen wie Klimawandel, Terrorismus und die Finanz- und Wirtschaftskrise können heute nur gemeinsam angegangen werden. Der Gemeinsame Markt, die gemeinsame Währung, die erfolgreiche Verteidigung des europäischen Sozialmodells, grenzenlosen Reise und Arbeiten und einheitliche Verbraucherschutzgesetze sind heute Teil unserer Lebensgrundlage.

Kein Land profitiert so sehr vom Europäischen Binnenmarkt wie Deutschland, denn ca. 90 Prozent der Wertschöpfung findet im Europäischen Binnenmarkt statt. Mehr als 60 Prozent aller deutschen Exporte gehen in die EU.

Durch die EU eröffnen sich insbesondere für Kleinstädte wie Büren zahlreiche Möglichkeiten: Mit seinen breit aufgestellten Industrie- und Dienstleistungssparten kann Büren vom gemeinsamen Markt profitieren. Dabei geht es nicht nur um den Abbau von Barrieren, sondern darum, dass die EU als größte Handelsmacht der Welt globale Standards durchsetzen und so unsere Wettbewerbsfähigkeit auf dem globalen Markt auch in Zukunft sichern kann. Und ein einfacher Zugang zu unseren wichtigsten Exportmärkten mit der damit verbundenen Rechtssicherheit ist gerade für den deutschen Mittelstand überlebenswichtig, der das Rückgrat unserer Wirtschaft bildet. Denn anders als Großkonzerne haben Familienunternehmen oder Handwerker keine eigenen Rechtsabteilungen oder Niederlassungen, die sich mit nationalen Vorschriften und lokalen Begebenheiten auskennen. Zudem profitiert Büren von den zahlreichen Förderprogrammen und Strukturfördermitteln. Allein aus dem Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE) stehen für den Zeitraum 2007-2013 gut 1,3 Milliarden Euro für NRW zur Verfügung. Zusammen mit den öffentlichen und jetzt auch privaten Komplementärmitteln ergibt das ein Investitionsvolumen von 2,6 Milliarden Euro für unser Land.

8. Viele Menschen stehen dem Euro noch immer skeptisch gegenüber. Tatsächlich war unsere neue Währung im Sommer in der Krise. Wie stark ist der Euro wirklich?

Elmar Brok:

Der Euro ist und bleibt trotz aller Krisen stark. Das beweisen die neuesten Wachstumsprognosen der Europäischen Kommission, die Mitte September veröffentlich wurden. So wird der Anstieg des Bruttoinlandsprodukts (BIP) in der Eurozone für 2010 auf 1,7% geschätzt und das deutsche BIP dürfte demnach 2010 sogar um 3,4% zulegen. Auch in den letzten Monaten hat sich der Euro trotz aller Krisen bewiesen. Im unmittelbaren Nachgang zur Finanzkrise blieb der Euro zunächst einmal insgesamt stabil und auch die Turbulenzen vom letzten Sommer konnten durch das rasche EU-Rettungspaket schnell aufgefangen werden. Ohne den Euro hätten wir einen Crash wie 1929 gehabt.

Wir schaffen nun Mechanismen, um für die Zukunft solchen Krisen vorzubeugen. Innerhalb der EU müssen wir auf eine strengere Einhaltung der Stabilitätskriterien achten. Zudem müssen die Ursachen der Finanzmarktkrise auf globalen Niveau angegangen werden: Zu diesem Zweck hat das Europäische Parlament in seiner Sitzung Mitte September zum Beispiel strengere Regeln zur Finanzmarktaufsicht beschlossen.

9. Seit 1980 sind Sie Mitglied des Europäischen Parlamentes. Was hat sich in dieser Zeit positiv und was negativ verändert?

Elmar Brok:

Eindeutig positiv ist, dass das EP seit 1989 einen stetigen Machtzuwachs zu verzeichnen hat.  Als Vertreter des Europäischen Parlaments in den Regierungskonferenzen für die Verträge von Amsterdam, Nizza, die Verfassung und den Vertrag von Lissabon habe ich mich dafür eingesetzt, die Rechte des EP als einzige direkt demokratisch legitimierte Institutionen zu stärken und somit den Bürgern mehr Einfluss auf europäischer Ebene zu geben. So haben wir sukzessiv erreicht, dass das EP zu einer gleichberechtigten zweiten Kammer gewachsen ist, die heute – nach Inkrafttreten des Vertrages von Lissabon in nahezu allen Fällen als gleichberechtigter Gesetzgeber neben dem Rat agiert. Entscheidend ist auch, dass nun nahezu alle Drittlandsverträge der Ratifikation durch die Europaabgeordneten bedürfen. Die EU-Abgeordneten können mit diesen neuen Rechten die Gesetzgebung und vertragliche Vereinbarungen im Hinblick auf die Interessen ihrer Bürger beeinflussen und steuern,  wie die Ablehnung des SWIFT-Abkommens mit den USA bewies.

Zudem konnten wir in den Verhandlungen zum Lissabonner Vertrag erreichen, dass das EP umfassende neue Kontrollrechte bekommt – Die Budgetrechte wurden ausgeweitet und das EP muss nun allen Ausgaben der EU zustimmen. Außerdem wurden die politischen Kontrollrechte erheblich gestärkt: So wählt das EP den Präsidenten der Europäischen Kommission, der in seiner Tätigkeit vom Vertrauen des EP abhängt. Auch hat es zunehmend mehr Mitsprache bei der Gemeinsamen Aussen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik – der Hohe Vertreter/Vizepräsident der Kommission muss vom EP bestätigt werden und ist diesem als Vizepräsident der Kommission verantwortlich. Ebenso konnte das EP eine umfassende parlamentarische Kontrolle des neuen Europäischen Auswärtigen Dienstes durchsetzen.

Was ich allerdings insgesamt bedauere, ist, das trotz den großen Leistungen und den Nutzen, den die EU für uns in Deutschland hat, das öffentliche Meinungsbild leider immer noch von Vorurteilen und negativen Gefühlen gegenüber der EU belastet ist. Hier stehen wird auch als Politiker in der Verantwortung. Es kann nicht sein, dass wenn die Sonne scheint, es Berlin war und wenn es regnet, der Finger anklagend auf Brüssel gezeigt wird.

10. Sie gelten als „Mr. Europa“: Was sind Ihre nächsten Projekte?

Elmar Brok:

Der Lissabonner Vertrag muss mit Leben gefüllt, die Neuerungen umgesetzt werden. Insbesondere werde ich aufmerksam den Aufbau und den Start des neuen Europäischen Auswärtigen Dienstes begleiten.

Die transatlantische Partnerschaft muss belebt und vertieft werden- auch in Hinblick auf den Ausbau eines gemeinsamen transatlantischen Marktes. Das Verhältnis zu Russland muss geklärt werden und die strategischen Partnerschaften zum Beispiel mit China und Brasilien ausgebaut werden. Als außenpolitischer Sprecher der EVP-Fraktion und Vorsitzender der US-Delegation werde ich diese Themen vorantreiben und als überzeugter Europa werde ich nicht ruhen, um Europa auch vor Ort, in Deutschland und in meinem Wahlkreis den Bürgern näherzubringen. Das Projekt Europa muss so gestaltet werden, dass die Bürger es als positiv annehmen. Hier muss viel Arbeit geleistet werden. Als Abgeordneter liegt mir aber vor allem auch am Herzen, die Interessen und die Zukunft unserer schönen Heimat und ihrer Menschen zu unterstützen.